Bürgermeister Paulowitsch wurde begleitet von Udo Rauhut (VdK) und Pfarrer Michael Maisenbacher.
Der Volkstrauertag 2020 fand coronabedingt ohne öffentliche Gedenkfeier statt. Statt dessen erfolgte eine stille Kranzniederlegung am Mahnmal auf dem Friedhof Rommelshausen. Bürgermeister Benedikt Paulowitsch wurde dabei begleitet vom Vorsitzenden des VdK, Udo Rauhut, sowie von Pfarrer Michael Maisenbacher, der auch das gemeinsame Gebet sprach. Die Rede von Bürgermeister Benedikt Paulowitsch lesen Sie hier im Anschluss:
Verehrte Bürgerschaft,
erstmals in unserer Geschichte veranstalten wir den Tag zum Gedenken an die Opfer der Gewaltherrschaft unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Der Gesundheitsschutz und das Infektionsgeschehen machen diesen Schritt leider notwendig.
Doch Gedenken lässt sich nicht einfach absagen. Wir begehen diesen Tag ganz bewusst. Und vielleicht sagt die Tatsache, dass wir hier alleine stehen viel mehr über unser aller Verantwortung gegenüber dem Gedenken also solchen, als uns bewusst ist.
Denn letzten Endes setzen wir gemeinsam ein Zeichen dafür, dass die die Erinnerung an die Geschichte von Terror und Gewaltherrschaft, von Krieg und Frieden sowie damit verbundene Mahnung größer sind als jeder und jede Einzelne von uns.
75 Jahre – nur ein Wimpernschlag der Geschichte
In diesem Jahr hat sich das Ende des 2. Weltkriegs zum 75. Mal gejährt. Wir sprechen alleine bei diesem Krieg von bis zu 80 Millionen Toten weltweit. Diese Zahl umfasst jene, die auf dem Schlachtfeld starben, aber ebenso die Opfer des systematischen Mords, von Kriegsverbrechen und Menschenvernichtung der schlimmsten Art sowie zivile Opfer durch Kampfhandlungen und Bombardierung. Vergessen dürfen wir aber auch jene nicht, die an den unmittelbaren Folgen wie Vertreibung, Hunger und Krankheit starben und litten.
Dieser Krieg, der von unserem Boden aus entfesselt die ganze Welt in den Abgrund gestürzt hat, liegt weniger als ein Lebensalter in der Vergangenheit. 75 Jahre sind nur ein Wimpernschlag der Geschichte.
80 Millionen Leben, 80 Millionen Geschichten. Diese Zahl entspricht heute fast genau der Einwohnerzahl unseres gesamten Landes.
Wenn wir heute über unsere Verantwortung als Deutsche sprechen, dann geht es nicht mehr um Schuld. Die Deutschen von heute sind keine Schuldigen. Aber sie sind sehr wohl verantwortlich. Sie tragen für ihre eigene Geschichte die Verantwortung und dieser kann man nur auf eine Art und Weise gerecht werden: Durch das Erinnern und das Mahnen, die Bewahrung von Demokratie und Frieden sowie jene Losung, die ungeschrieben das Fundament unseres Grundgesetzes ist und die da lautet: „Nie wieder.“
Die Gräuel der Weltkriege und der zahllosen weiteren Konflikte von sind unumkehrbar. Doch es wäre ein großer Fehler zu glauben, dass sich Geschichte nicht wiederholen könne. Frieden ist eben nicht selbstverständlich.
Frieden braucht Demokratie
Doch was bewahrt und sichert eigentlich den Frieden zwischen den Völkern? Immanuel Kant schrieb Ende des 18. Jahrhunderts sein Werk „Zum ewigen Frieden.“ In diesem bringt er zum Ausdruck, dass der Krieg möglicherweise im Interesse von Machthabern und Fürsten sein könnte, die niemandem gegenüber Rechenschaft schuldig sind. Gleichzeitig stellt er jedoch klar, dass Krieg niemals im Interesse des Volkes sein könne.
Kants Werk ist die Grundlage für die Theorie des demokratischen Friedens. Diese besagt im Kern, dass Demokratien untereinander keine Kriege führen. Demokratie und die damit verbundene Rechenschaft sind bis heute die wichtigste Grundlage für den Frieden.
Und genau deswegen müssen wir mit Sorge auf viele Entwicklungen unserer Zeit blicken. Wir erkennen in Ländern wie Weißrussland oder Hongkong, wie Demokratiebewegungen mit Gewalt unterdrückt werden. In immer mehr demokratischen Staaten nehmen antidemokratische, autokratische und staatsverachtende Tendenzen zu. Selbst in den Vereinigten Staaten ist die Selbstverständlichkeit verloren gegangen, demokratische Wahlergebnisse zum Wohle des Friedens anzuerkennen. „Mein Land zuerst“ ist zunehmend zu einem Regierungsprogramm auf der gesamten Welt geworden.
Doch gleichzeitig gibt es auch viele Zeichen der Hoffnung. Denn gerade in Weißrussland und Hongkong sehen wir, wir Menschen für Demokratie auf die Straße gehen, wie sie ihr Leben und ihre Freiheit riskieren – dies nicht aus egoistischen Gründen, sondern solchen die größer sind als sie selbst. Wer auf ein Ende des demokratischen Zeitalters hofft, der täuscht sich und wird von der noch zu schreibenden Geschichte eines Besseren belehrt werden.
Demokratie ist nicht selbstverständlich.
Wenn der demokratische Frieden in Gefahr gerät, steigt das Risiko von Krieg und Gewalt – ein entscheidender Grund mehr, unsere demokratischen und rechtsstaatlichen Werte zu verteidigen.
Der gefährlichste Virus des 21. Jahrhunderts bleibt – auch in einem Pandemiejahr – die Denke von „wir gegen die“. Denn dieser Virus zersetzt Demokratien von innen.
Wir müssen uns alle gemeinsam gegen diejenigen Stimmen stellen, die Ängste, Vorurteile, Hass und Furcht verbreiten. Wir müssen uns alle daran stören, wenn die Würde, die Rechte und die Freiheit von Menschen missachtet, mit Fäusten traktiert oder mit Füßen getreten werden. Wir dürfen nicht wegsehen, wenn in unserer Gesellschaft Gleichgültigkeit und Verachtung gegenüber Andersdenkenden Platz finden und sich wie eine Krankheit ausbreiten.
Ohne den inneren Frieden einer Gesellschaft lässt sich der Frieden zwischen den Völkern nicht bewahren.
Die Toten der Vergangenheit sind unser Auftrag für die Zukunft. Der Volkstrauertag ist daher auch in Zeiten wie diesen zwingend notwendig. Wer die Gräuel vergisst, die es einmal gab, der kann die Gräuel der Zukunft nicht verhindern.
In diesem Sinne ist unsere traditionelle Totenehrung keine Routine, sondern unser aller Auftrag:
in diesem Sinne spreche ich nun die Totenehrung:
„Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg,
an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.
Wir gedenken der Soldaten, die in den Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.
Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet wurden,weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden, Teil einer Minderheit waren oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.
Wir gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.
Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren.
Wir gedenken heute auch derer, die bei uns durch Hass und Gewalt gegen Fremde und Schwache Opfer geworden sind.
Wir trauern mit allen, die Leid tragen um die Toten, und teilen ihren Schmerz. Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.“